Lesung auf der KriLit 2023

Lesung auf der KriLit 2023

Anlässlich der Koalitionsverhandlungen in Nö Türkis/Blau:
Meine geliebte Johanna,
ich hoffe, du verzeihst meine sehr persönliche Anrede, aber nachdem mir die richtige gendergerechte Form zum unüberwindbaren Hindernis geworden ist, habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen, zumal ja einige Punkte aus deinem Arbeitspapier mich wirklich zu Herzen gerührt haben.
Wie freudig habe ich festgestellt, dass du so sehr um meine Sicherheit besorgt bist. Nun, du siehst, die erste Unsicherheit in Bezug auf die korrekte Anredeform konnte ich dank deines beispielgebenden Papiers bereits überwinden. Doch um meine körperliche Sicherheit sei unbesorgt. Die von dir in Angriff genommene Stärkung der Wirtshauskultur wird das Ihrige tun, um unsere hiesigen Mannsbilder in eine gefühlvolle und weinselige Stimmung zu bringen, die mich bestimmt vor Übergriffen schützen wird.
Welch ein Glück, dass ich in unserem wunderschönen Niederösterreich geboren wurde. Einem Land, in dem ich die Wahlfreiheit habe, bei meinen Kindern zu bleiben oder die Miete zu bezahlen. Wie umsichtig von dir, Integrationsmaßnahmen nur jenen zu gewähren, die auch eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit vorweisen können. Bestimmt lässt sich mit Hilfe der Physiognomie eine zuverlässige kleine Vorauswahl treffen. Unsere Kultur, unsere Geschichte und unsere Spitzensportler wie Denis Dizdarevic sind schließlich Werte, auf die wir zu Recht stolz sind.
Verzeih, ich beginne, unterschiedliche Dinge in einen Topf zu schmeißen. Wie vorbildlich dagegen du, die die Arbeit und Wirtschaft gesondert anspricht. Inklusive der Metapher „Gräben schließen“ ist dir auf allen Seiten deines Arbeitsübereinkommens eine klare Formulierung gelungen. Hättest du bei deinen Plakaten die Formulierung Brücken bauen gewagt, wäre der Verdacht aufgekommen, du würdest dich in Richtung Mitte bewegen. Doch um wieviel wichtiger ist es, Gräben zu schließen, wenn sich Leichen im Keller befinden. Wie klug die Wahl deiner Worte.
Und wie vorausschauend mit einem Leitfaden dem einfachen Gemeindebediensteten ein wertvolles Kommunikationshandbüchlein zur Hand zu geben. Damit wird endlich die explizite Nennung von Frauen und queeren Personen einheitlich und ersatzlos gestrichen. Der Aufwand ist für diese unbedeutende Community wirklich nicht gerechtfertigt.
Außerdem ist das leidige Gendern eine reine PR-Aktion, wenn Frauen und queere Personen doch dezidiert auch implizit nicht gemeint werden. Wie durchdacht und konsequent, wenn ich dann deinem Arbeitspapier weder im Bereich der Arbeit, der Pflege oder der Familie ein Wort oder eine Zeile zur Förderung und Stärkung der Frau und ihrer Rechte entnehme. Ich vermute, als langjähriges Regierungsmitglied ist dir die Abwesenheit von Gleichberechtigung so selbstverständlich geworden, dass du es einfach vergessen hast. Vielleicht ist ja, wenn du alles für die Arbeit und die Wirtschaft getan hast, noch die eine oder andere Ressource zum Ausgleich des gender pay gaps verfügbar.
Interessant finde ich übrigens deine Idee, die klassischen Frauenberufe der Pflege und Pädagogik durch eine Verkürzung der Ausbildungszeit zu attraktivieren. Im Vertrauen gesagt, ist uns doch die Arbeit am und mit den Menschen von Kindesbeinen an in die Wiege gelegt worden. Wozu Kompetenz entwickeln, wo doch viel mehr erzieherische Maßnahmen und Kontrolle der Pausen im heutigen Schulbetrieb erforderlich sind. Sicher ist auch die Errichtung von Begabtenklassen statt Förderunterricht ein geeignetes Mittel, damit wenigstens dieser Teil der Schüler die Pisa-Studie erfolgreich meistern kann.
Aber ich rede zu viel in eigener Sache. Wie egoistisch von mir. Doch es sei mir noch eine kleine Bitte gewährt. Unsere Pizzeria, die uns doch so sehr mit dem heiligen Vatikan verbindet. Ich würde ungern auf meinen kleinen Italiener verzichten.
Ich danke deiner Vernunft und Verantwortung, die von einer Weitsicht und Mitgefühl geprägt sind, die selbst die Geschäfte der Bundesregierung betroffen machen.
Im Vertrauen auf deinen sparsamen Umgang mit Informationen zur Steigerung der Transparenz schließe ich mein Schreiben. Ich hoffe du bleibst uns lange erhalten, denn, wie die Vergangenheit beweisen konnte, es kommt nur selten etwas Besseres nach.
In tiefer Trauer verbleibe ich
Judith Haunold


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