Lesung im Wiener Rathaus

Lesung im Wiener Rathaus

Anlässlich der Lesung im Wiener Rathaus ein politischer Text:
Brief an den Wohnbautenminister

Ich schrieb einen Brief an den Wohnbautenminister und bat ihn, bei den Neubauten doch für einen besseren Schallschutz zu sorgen. Vornehmlich in jenen Räumlichkeiten, die gemeinhin dem elterlichen Schlafzimmer vorbehalten waren. Und ich erklärte ihm, wie schwierig es für eine Frau sei, sich in den Händen ihres Liebhabers fallen zu lassen, wenn sie weiß, dass die Nachbarn ober und unter ihr genauso zuhören, wie jene, die direkt nebenan wohnten und die Kinder, seit sie älter geworden sind und nicht mehr von Meerschweinchen träumten. Ein Sexualakt, der ständig der Gefahr des Belauschtwerdens ausgesetzt ist, das Risiko des Ertapptwerdens birgt, könne doch niemals in einer lustvollen Tirade sprühender Orgasmen enden.
Aber gerade als ich den Brief in das Kuvert steckte, fiel mir ein, dass es doch diesen Wohnbautenminister gar nicht gibt und ich seufzte laut auf, denn ich dachte mir, selbst wenn es ihn gäbe, so wäre es vermutlich für einen Mann wie ihn schwer zu verstehen, welche Bedingungen eine Frau braucht, um sich lustvoll fallen lassen zu können und ich erkundigte mich bei den Wohnraumausstattern und Baufirmen, was es kosten würde. Doch weil der nachträgliche Einbau einer Schallschutzdämmung, der meinen Lustschrei im Inneren des Raumes zu halten in der Lage gewesen wäre, zehn Zentimeter meines Kleiderschranks gekostet hätte, verzichtete ich darauf.
Ich beruhigte mich wieder und erinnerte mich daran, dass ja eine Frau, die schreit, weil sie geschlagen wird, auch nicht gehört wird von ihren Nachbarn. Jedenfalls schreiben die Zeitungen das immer dann, wenn es wieder mal zu spät geworden ist, um zu reagieren. Und die Kinder sind ohnedies bald außer Haus. Seit sie aufgeklärt wurden, fragen sie sich nicht mehr, ob die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer bedrohlich oder gut zu heißen waren. Sie setzen ihre Kopfhörer auf und starren auf die viel zu kleinen Bildschirme, um sich von der Welt da draußen abzuschirmen.
Blöd war nur, dass während der Zeit, da ich alle Möglichkeiten prüfte und in Erwägung zog, mein Mann die Koffer packte und auszog, weil es ihn frustrierte, wenn ich mit zusammengepressten Lippen versuchte, mich ihm hinzugeben. Ich sei frigide, schimpfte er mich und suchte sich eine Jüngere. Ich weiß nicht, ob sie auch die Klappe hält beim Verkehr, aber ich hätte sie gerne einmal danach gefragt.


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